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Stefanie Kleinsorge 2018


Ungeborenen Elefanten ins Maul sehen

Caro Suerkemper greift Konzepte der Porzellankunst des 17. und 18. Jahrhunderts auf und überzeichnet, oft erst auf den zweiten Blick sichtbar, die modellierten oder gemalten Frauenfiguren in provokanten und lustvollen Szenarien. Beim Modellieren schlüpft sie, nach eigener Aussage, ins Innere ihrer Figuren, wodurch sich Gesichtsausdruck, Gesten und Körperhaltung ergeben. Die Bandbreite der Zustände reicht von obszöner Ergebenheit bis zu Versuchen latent aggressiver Selbstbehauptung. Ihre Motive sind nicht nur nett und lustvoll, auch Darstellungen von Bondage, Nekrophilie oder seltsamen Kulthandlungen gehören zu ihrem Bildrepertoire. Die vertraute Welt vermeintlich barocker Raumausstattung versetzt sie durch die Wahl extremer Motive in eine Schieflage, die erst beim genauen Hinsehen wahrzunehmen ist und dann umso mehr überrascht und irritiert.

Dabei geht es der Künstlerin nicht um vordergründige Effekte, sondern um die Frage nach gesellschaftlicher und kultureller Identität und Prägung. Nicht zuletzt geht es um unsere Erwartungshaltung, die Caro Suerkemper empfindlich stört, wie beispielsweise mit der Figur einer schwarzen, schwangeren und betenden Maria, die das westlich geprägte Konzept christlicher Religiosität skandalisiert.

Die in sich verdrehte Figurengruppe wiederum, die einen Kanonenofen krönt, erinnert an eine affektierte Barockskulptur zur erotischen Erbauung der Betrachter*innen. Schaut man genau hin, so erweist sie sich als zugespitzte Darstellung von Dominanz und Unterwerfung. Figuren, die sich in falschen Rollen befinden – daher oft ein wenig dämlich zu blicken scheinen – sowie Macht, Ohnmacht und Begehren sind Themen, die sie durch die Posen und die Mimik, der barocken Figuren zum Ausdruck bringt.

 


Philippe Rey 2017


Stille Jung Fern

Die anmutigen, fast fragilen Wesen in der Ausstellung »Stille Jung Fern« beschreiben menschliche Zustände und offerieren uns Einblicke in soziale, kulturelle und politische Problematiken. Sie sind als visuelle Kommentare zu Entwurzelung, Verwundung und Kompensation zu lesen. Thematiken wie das Ganzwerden durch das Erkennen der eigenen Verletztheit und Verletzlichkeit stehen im Fokus dieser Ausstellung in der Galerie Römerapotheke in Zürich.

Im Unterschied zu früheren Arbeiten Caro Suerkempers sind die meisten jetzt ausgestellten Plastiken aus gegossenem Metall. Sie sind zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen in Gießereien in Indien, wo die Künstlerin sich längere Zeit aufhielt, und in Polen entstanden.

Die zentrale Gruppe der Ausstellung sind die »Stillen Jungfern« aus schwerer Bronze und tiefschwarzer Patina, welche die Wesen zu Silhouetten werden lässt, zu tanzenden Schatten. Sie bewegen sich in einem eigenen, schwerelosen Raum und nehmen Distanz ein. Sie wirken seltsam unberührbar. Ihre Körper sind entblößt, unbekleidet geben sie sich auf eine unschuldige und scheinbar schamlose Art Preis, ohne Bewusstsein von Schuld, zeigen sie sich in ihrer kindlichen Naivität und laufen Gefahr in ihrer Offenheit missbraucht werden. Man will sie beschützen, diese Wesen, deren Schönheit auf deren Unschuld beruht.

Ein weiteres »gewichtiges« Werk in der Ausstellung ist ein unmittelbar vor dieser Gruppe entstandenes Möbel aus Beton mit dem Titel »Stimulus Response«*. Die Eleganz des zierlichen Tisches steht im krassen Gegensatz zum Medium. Die auf der Tischoberfläche ›abgebildete‹ Liegende (von der eigentlichen Figur ist nunmehr ein negativer Abdruck vorhanden) befindet sich in der Horizontalen. Die eigentliche Plastik ist herausgewaschen, es bleibt nur die Erinnerung daran. Auch hier stößt der Betrachter an seine Grenzen, die Figur ist nicht greifbar.

Caro Suerkemper macht Verletzlichkeit und Missbrauch, Macht und Ohnmacht zu ihren Themen. Das alles sei weniger feministisch gemeint, sagt sie, vielmehr stehe das persönliche Erleben eines jeden Einzelnen exemplarisch für die Verfassung der Gesamtheit der Bevölkerung.

* Das Stimulus Response oder Reiz-Reaktions-Modell ist ein Modell der behavioristischen Psychologie

 

 


Luca Rey 2017


Interview mit Caro Suerkemper

(anlässlich der Ausstellung »Stille Jung Fern« in der Galerie Römerapotheke 2017)

Luca Rey: Ich habe dich als fröhliche und verschmitzte Person kennen gelernt. Welche Rolle spielt für dich der Humor in deinen Arbeiten? Wird deine Kunst aufs Alter humorvoller oder im Gegenteil ernsthafter?

Caro Suerkemper: Ich finde Humor im Allgemeinen sehr wichtig weil es ein Schmiermittel ist, damit läuft alles besser! Ich amüsiere mich, wenn er mir in meiner Arbeit begegnet. Der Humor ist auch ein super Transporter, mit dem sich auch unangenehme Inhalte an die richtige Adresse liefern lassen.
Nein, der Humor ist immer gleich geblieben, was er transportiert, das ist vielleicht mit den Jahren konkreter und folglich vielleicht auch ernsthafter geworden.

LR: Du brichst mit deiner Kunst Tabus, verdrehst unsere Sehgewohnheiten. Gibt es noch ungebrochene Tabus auf die wir uns in der Zukunft noch freuen dürfen?

CS: Ich habe ja gar nicht die Absicht Tabus zu brechen. Ich versuche nur Sachverhalte, die mir merkwürdig vorkommen zu fokussieren und zu ergründen.

Als Beispiel: Ich habe einen Hund, den ich tagtäglich kacken sehe, da ist nichts dabei. Ich beobachte auch, wie sich Hunde, die sich begegnen umkreisen und sich gegenseitig am Anus und Geschlechtsteil beschnuppern. Ist die Sache geklärt und man kann sich gegenseitig einordnen, geht’s weiter. Wenn wir uns diese Szenen beim Menschen vorstellen oder gar einen kackenden Menschen vor Augen führen sieht die Sache ganz anders aus. Und vielleicht auch wiederum nicht. Es ist dieselbe Spannung, die durch den ganzen Körper geht, derselbe Moment der Konzentration, dieselbe Erleichterung. Diese Vorgänge sind auch ganz eng mit unserer inneren Befindlichkeit verbunden.

Ich suche einfach den originären Blick. Tabus sind in dem Moment interessant, wo sie mit unseren Vorbehalten, Vorurteilen, Selbstüberschätzungen verknüpft sind, da lohnt es sich auch einmal genauer hinzuschauen.

LR: Deine Figuren befinden sich oft in einem delirischen Parallelzustand der gleichzeitigen Unzucht und strahlender Unschuld. Woher kommt diese Ambivalenz?

CS: Tabu und auch Unzucht sind moralische Begriffe, Eingrenzungen, die helfen, eine gesellschaftliche Ordnung und Hierarchie zu zementieren. Ihre Auslegung ist veränderlich, wie sich auch eine Gesellschaft immer wieder verändert und an neue Begebenheiten anpasst. Unter Unzucht stellt man sich heutzutage etwas ganz andres vor als vor hundert Jahren.

Meine Figuren sind im Grunde Anarchistinnen. Sie wollen wahrnehmen, ohne Begrenztheit. Trotz der etwaigen Schändlichkeit ihrer Lage behalten sie ihre Würde, weil sie bei sich bleiben. Sie sind ganz im gegenwärtigen Moment. Sie wollen diesen Moment durchleben, selbst wenn er weh tut.

LR: Körperöffnungen sind ja ein wiederkehrendes Motiv in deinen Arbeiten. Hast du ein Problem mit Vaginas? Oder hab ich eins?

CS: Körperöffnungen sind Teil eines jeden Körpers und für gewisse lebenserhaltende Vorgänge notwendig. Ich gehe die Körper, die ich modelliere von innen an, mit der Frage nach der möglichen Befindlichkeit des Wesens, das sich in diesem Körper verbirgt. Es ist ein langwieriges Erfühlen und Erforschen des Zusammenspiels von Gliedmaßen und Physiognomie. Das Modellieren ist ein Akt der Belebung, für mich, denn ich komme in Kontakt mit einer inneren Welt und für die Figur, denn sie wird zunehmend verständlich als autonomes Geschöpf. Die meisten meiner Figuren sind bar jeder Kleidung, da diese immer ein Verweis auf äußerliche Umstände ist und dann haben wir eine Einbindung in einen Kontext, einen Verweis auf Herkunft und schon sind wir mitten in einer Erzählung. Ich meine aber den Zustand im Moment.

Ich wundere mich, dass du mich auf Vaginas ansprichst. Erst einmal gehören sie mit zum weiblichen Körper und dann ist mir nicht bewusst, dass ich sie explizit vorgeführt hätte. Oder verwechselst du die Vagina mit der Vulva? Tatsächlich gehören aber zum weiblichen Genitalbereich die äußeren Schamlippen mit dazu. Und es wäre merkwürdig, wenn ich über diesen sichtbaren Körperteil einfach hinwegginge… Es wäre doch komisch Hände, Füße, alles ganz genau zu modellieren, aber diese Stelle auszulassen.

 


Peter Funken 2013


Sturm und Bedrängnis

Ein Gemeinschaftskunstwerk von Caro Suerkemper und Matthäus Thoma

Unwillkürlich denkt man an eine große Woge, die aus dem Ausstellungsraum der Berliner Galerie Gilla Lörcher schwappt. Fast der gesamte Innenraum der Galerie ist von ihr okkupiert. Jenseits des Schaufensters, auf dem Bürgersteig, brandet die Woge auf und verebbt dort. Natürlich ist sie nicht liquide, sondern statisch stabil, denn sie besteht aus Holzteilen. Bei dieser Skulptur handelt es sich um eine Arbeit des Bildhauers Matthäus Thoma, der dafür hunderte Latten und Bretter, kleinere und größere Holzstücke mit Schrauben zusammengefügt hat. Und dann sind da, wie eingeschlossen in diese raumgreifende Arbeit, die keramischen Skulpturen von Caro Suerkemper, die die Künstlerin in dieses Gemeinschaftsprojekt einbringt und in Matthäus Thomas dynamische Holzskulptur implantiert hat.

Sturm und Bedrängnis · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · (photos: Cordia Schlegelmilch)

Sturm und Bedrängnis · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · Fotos: Cordia Schlegelmilch

Es ist die erste Zusammenarbeit beider Künstler, und deshalb besitzt sie den Charakter eines Experiments, das gelungen ist, – und deshalb endet dieser Satz mit der Hoffnung, dass Suerkemper und Thoma bald wieder etwas zusammen herstellen mögen.

Gemeinschaftsarbeiten von Künstlern hat es immer wieder gegeben. Man denke an Gilbert & George, Clegg & Guttmann oder Ulay und Marina Abramovic, die über lange Zeit gemeinsam Konzepte und Projekte entwickelt haben. Von solchen Künstlerpaaren unterscheidet sich das Team Suerkemper/Thoma, denn beide gehen vor allem eigene Wege, so dass ihre Zusammenarbeit bei »Sturm und Bedrängnis« eher die Ausnahme bildet und einen besonderen Moment in ihrem Schaffen markiert. Dennoch, ein wenig erinnert ihr Zusammenspiel an das künstlerische Teamwork von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle, denn auch bei ihnen war der eine – Tinguely – für die eher technische und abstrakte Skulptur zuständig, während de Saint Phalle vor allem figürliche Plastiken beisteuerte. Ähnlich ist es bei »Sturm und Bedrängnis«, wo Caro Suerkemper weibliche Köpfe und Körper aus gebranntem, bemaltem und glasiertem Ton in die aus geraden, rechteckigen Holzteilen gefertigte Arbeit von Matthäus Thoma einfügt.

Das Thema ihrer Kooperation deutet sich bereits im Titel an: »Sturm und Bedrängnis« nimmt die Bezeichnung »Sturm und Drang« ironisch aufs Korn, und damit eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die von 1765 bis 1785 währte und auch »Geniezeit« genannt wird. Es war eine bewegte Zeit, in der vor allem junge Literaten gegen den – wie sie meinten – allzu starken Vorrang des Rationalen in der Aufklärung, emotionsgeladene, rebellische Töne anschlugen. Zahlreiche Dramen entstanden, so etwa Schillers »Räuber« oder der »Götz von Berlichingen« des jungen Goethe. Für beide »Genies« war ihre Sturm-und-Drang-Periode nur von kurzer Dauer. Die meisten Autoren des »Sturm und Drang« waren von hause aus nicht begütert, sie entstammten dem Mittel- und Kleinbürgertum. Deshalb versuchten sie ihre literarische Tätigkeit durch eher schlecht bezahlte Hauslehrer- oder Pfarrerstellen abzusichern. Die Bewegung blieb vor allem auf Bekannte und Freundeskreise beschränkt, auch fehlte ihr öffentliche Resonanz und Anerkennung. Ruhm erreichten die Autoren erst nach ihrem Tod. Man könnte hier durchaus Parallelen zur gegenwärtigen Situation im Kunstbetrieb ziehen.

Suerkemper und Thoma haben mit einer kleinen sprachlichen Veränderung aus dem zweifach aktiven Schlagwort der literarischen Strömung ihren Ausstellungstitel »Sturm und Bedrängnis« entwickelt, der zwar vom Sturm spricht, aber auch von einer Notlage, die hier Bedrängnis heißt. Die Anspielung und Verdrehung im Titel wirkt ironisch und skurril, doch stellt sich die Frage, wer hier stürmt und wer in Bedrängnis gerät. Die Antwort scheint eindeutig, rasch geht die Vermutung dahin, dass Suerkempers junge Frauen in die hölzernen Woge nicht integriert, sondern inkludiert sind, also eingeschlossen und eingezwängt wurden und sich demnach in Bedrängnis finden.

Sturm und Bedrängnis · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · (photo: Cordia Schlegelmilch)

Sturm und Bedrängnis · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · Foto: Cordia Schlegelmilch

Mit bekleckerten Gesichtern oder geöffneten Mündchen ziehen sie eine Schnute; wie oft bei Suerkempers Aquarellen und Skulpturen, schauen sie etwas dämlich aus der Wäsche – demütig gen Himmel, verzückt und wie in Ekstase, überrascht von Lust oder von Schmerz gefesselt, auf jeden Fall sind sie den Ereignissen und ihren Emotionen völlig ausgeliefert. Dies alles aber interessiert die große Woge nicht, sie rauscht über sie hinweg und zeigt ihre Kraft.

Bei »Sturm und Bedrängnis« treffen bereits existierende Skulpturen von Caro Suerkemper auf eine plastische Struktur, die Matthäus Thoma exakt für den Galerieraum und seine Umgebung geplant hat.

Seine Arbeit beschäftigt sich mit Fragen von Dimension und Okkupation, dem öffentlichen Raum und solchen des Materials. Sie weist vor allem nach außen, während Caro Suerkemper das Innenleben der Holzskulptur thematisiert, denn ihre keramischen Figuren müssen in dem verschachtelten Gefängnis aus Holz einen Platz finden und behaupten. Dies ist keine leichte Aufgabe, denn anders als auf einem Sockel, der sie freistellt, gibt es bei »Sturm und Bedrängnis« überall Sichtbarrieren, die den freien Blick auf Suerkempers Skulpturen ein-schränken; letzteres trifft auch auf die Sichtmöglichkeiten der Betrachter zu, aber um vieles mehr gilt es für die keramischen Figuren. Sie stecken in einem Dilemma. Hingegen wird die Sichtbehinderung der Betrachter durch die Freude beim Entdecken der Kleinplastiken aufgewogen. Suerkempers Figuren sitzen fest, sie sind Gefangene ohne rechten Ausblick, selbst wenn einer schneeweißen Figurengruppe der Triumph gegönnt ist, ganz oben auf der Woge zu schweben. Nimmt man die Metapher der Woge für Thomas Holzskulptur ernst – und es handelt sich um eine Metapher! – dann wäre es vermutlich so, dass auch diese Figurengruppe schon bald überrollt, überwältigt und wieder eingekastelt wird.

Dass man auf diese Weise über die Installation der beiden Künstler nachdenken und sprechen kann, ist nur deshalb möglich, weil ihre Gemeinschaftsarbeit zwischen konkreter Anwesenheit – also Dimensionierung, Dynamik oder den Materialeigenschaften – und einer besonderen Form der Verführung, Illusion und Narration hin und her flutet oder oszilliert. Darin entsteht dann auch der Reiz der Arbeit, denn es wird im Gedanken des Metaphorischen die Vorstellung einer durch Sturm gepeitschten großen Welle samt bedrängter weiblicher Wesen geweckt, wie auch zugleich die Wahrnehmung einer konkreten, durchaus ungewöhnlichen Begegnung zweier bildhauerischer Konzepte und plastischer Methoden: rohes Holz trifft auf glatte Keramik, abstrakte auf figürliche Form, Narration auf Konkretheit. Auch steht dynamischer Druck gegen die Selbstbezogenheit der Figuren, und so kann sich mit den Kontrasten und Gegensätzen in dieser Arbeit eine spannungsgeladene Situation entwickeln, die die Betrachter gleichsam auffordert und es ihnen überlässt, darüber zu entscheiden, welche Perspektive auf das Werk sie zu wählen bereit sind – eher einer durch Metaphern und Narration induzierten Sichtweise oder aber der konkret abstrahierenden Wahrnehmung. Beides bietet diese Arbeit an, aber beides im gleichen Moment ist eigentlich nicht möglich. Somit ergeht an die Rezipienten der Installation ein Angebot zu einer offenen Betrachtung, die jedoch nicht zu einer endgültigen Antwort oder Auflösung führt, sondern zu der Erkenntnis, dass in der Anschaulichkeit des Kunstwerks eine Gleichzeitigkeit existiert, die nur dort möglich ist, während alles Denken, wie auch die Sprache und Schrift sich im zeitlich linearen Nacheinander bewegen, sich einer Sache annähern, um sie zu begreifen.

Sturm und Bedrängnis (Detail) · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · (photo: Cordia Schlegelmilch)

Sturm und Bedrängnis (Detail) · Caro Suerkemper und Matthäus Thoma · Installation in der Galerie Gilla Lörcher · Berlin 2013 · Foto: Cordia Schlegelmilch

Darin besteht dann aber das eigentliche Dilemma, das mithin weniger Suerkempers Figuren betrifft, als vielmehr unsere Hilflosigkeit, unser Ausgeliefertsein, unser durch Sprache gezimmertes Gefängnis, dass wir oft nicht oder nur schwer zwischen einer Emotion oder einem symbolischen Akt, und andererseits einem konkreten, geradezu objektiven Vorgang zu entscheiden wissen. Mit dieser Thematik, der Vermischung beider Ebenen, entstehen im Alltag dann leicht komplizierte Situationen – Doublebinds, Missverständnisse, Fehlinterpretationen sowie prall gefüllte Terminkalender von Therapeuten. In der Kunst hingegen, wie hier bei Caro Suerkemper und Matthäus Thoma, bildet das Fluktuieren zwischen rationalen und irrationalen Momenten, die Grundlage, Differenzierung und Qualität der Arbeit, denn Illusion und bewusstes Erkennen, Verführung und rationaler Begriff entstehen hier gewissermaßen auf dem Boden der Tatsachen von Material, Anschaulichkeit und Sinnlichkeit. Gewiss, es gibt klar gezogene Grenzen zwischen den Bereichen, doch sie können von Künstlern verunklärt, verwischt oder aufgehoben werden. »Sturm und Bedrängnis« ist dafür ein schönes Beispiel, und so demonstrieren Suerkemper und Thoma mit ihrer Installation neben allem anderen die künstlerische Fähigkeit zur gleichzeitigen und parallelen Darstellung und Wahrnehmung von Realität, die im Offenen und Spekulativen entsteht und auch darauf beharrt, denn im Zweideutigen gibt es keine Eindeutigkeit. Damit wird anschaulich vorgeführt, wie in der Gleichzeitigkeit von Konkretheit und symbolischer Aufladung ein Dilemma fruchtbar wird, dass es nicht nur auszuhalten ist, sondern zu neuem Erkennen, Verstehen und Begreifen führen kann.

 


Birgit Möckel 2013


Aus der Nähe die Distanz

Zu den Plastiken von Caro Suerkemper

Für »Wasserfarben«* – so der so eigenwillig wie sachliche Titel einer Ausstellung mit Aquarellen – hat Caro Suerkemper aktuell keine Zeit. Seit einem Arbeitsaufenthalt in s’Hertogenbosch am dortigen European Ceramic Workcenter im Jahre 2008 entstehen mehr und mehr Plastiken aus gebranntem und glasiertem Ton, die sich mittlerweile einen festen Platz im Oeuvre der Künstlerin erobert haben. Mit Mut, Anmut und feinsinniger Direktheit erobern ihre Schöpfungen immer neue Freiräume und wenden sich ungeniert in jedweder Position und Lebenslage an ihr Publikum.

Farbig und fragil in ihrer Erscheinung, als lebensnahe Büste, weiblicher Akt oder puppengleicher Porträtkopf modelliert – immer oszillieren die hintergründigen Charaktere zwischen Zeiten und Räumen, Gesehenem und Erlebtem, Tradition und Gegenwart und suchen Verbündete und Dialogpartner im realen Raum, sei es die sie umgebende Architektur oder der ihnen dort zugewandte Betrachter. Mit jedem neuen Zusammenspiel wird die ihnen eigene wesenhafte Präsenz neu verortet.

Provokant, offenherzig und zuweilen von kindlich-naiver Demut und Hingabe beseelt, verharren die weiblichen Figuren in den absurdesten Situationen und grotesken Haltungen. Ganz gegenwärtig in ihrer haptischen, verführerisch glänzenden oder in sanften Tönen schimmernden Präsenz und Farbigkeit zielen sie auf Fernwirkung, locken den Betrachter in ihre Nähe, um mit ungewohnten Ansichten insbesondere in der Nahsicht zu überraschen oder zu schockieren.

Was in der Anspielung auf barocke Lebenswelten als augenzwinkernder Verweis auf eine längst vergangene Epoche anmutet, entfacht im direkten Gegenüber einen so intimen wie provokanten und individuellen Dialog mit dem Betrachter, der auf das Innerste des Menschen und dessen Gefühle zielt. Schicht um Schicht, Körperpartie um Körperpartie, werden Haltung und Mimik als so individuelles wie kollektives Vokabular von Gefühlsäußerungen befragt, die an Konventionen und Tabus gebunden sind. Wo hinter diesem starren Korsett zeigen sich individuelle Regungen? Wo liegt die Grenze zwischen Ignoranz und Verlassenheit, wie sie sich beispielsweise in den hier vorgestellten Büsten andeuten?

Immer neu werden einmal gefundene Gesichter untersucht, in alle Richtungen gedreht, gelegt, neu positioniert, in diesen aktuellen Werken mit roten und schwarzen Schlieren übergossen, verfremdet und überformt und nach Abschluss der Arbeit mit genauen Serienbezeichnungen versehen. Die Lippen zusammengepresst oder zum stummen Laut geöffnet, die Augen verzückt, entrückt oder fragend gen Himmel gerichtet halten die Dargestellten jeglichen Angriffen stand. Schützend umfängt eine dunkle Haube den Kopf eines pausbäckigen Mädchens. Zweifel sind angebracht, ob diese starre schwarze Tracht und die damit verbundene Ordnung auf Dauer weiter zu schützen vermögen.

Was erzählen diese Blicke? Was offenbart, was verbirgt die Kleidung? Welche Gefühle verbergen sich hinter jenen tradierten Haltungen zwischen Verzückung und religiöser Inbrunst, zwischen Apathie und Schutzlosigkeit? Woran erkennen wir Konventionen? Wie zeigen sich individuelle Regungen? Was bewirken Normen? Wohin führen Traditionen?

An unterschiedlichsten Orten und in immer neuem Zusammenspiel zeigen Caro Suerkempers Figuren Mut und Zumutungen in immer neu interpretierten Haltungen und Metaphern, die an tradierte Märchen, wie jenes von der unverbesserlichen »Pechmarie«, wie an soziale Gefüge, Bindungen, Disziplinierung, an Macht und Ohnmacht erinnern, wie sie bis heute allgegenwärtig sind. Nicht zuletzt im unerschöpflichen medialen Bilderrepertoire unserer Gegenwart haben die Werke Caro Suerkempers ihren Ursprung. Hier findet sie die Motive, die ihre weit umfassenderen Themen und damit verwobenen Fragen transportieren.

Scheinbar mühelos fügen sich die Protagonisten in immer neue architektonische, kunsthistorische und damit verbundene kulturelle Zusammenhänge, zeigen sich als freche Ahnen erotisch-frivoler Gedankenspiele des fernen Rokoko, erinnern an nicht minder delikate Bewegungsstudien zahlloser Tänzerinnen von Edgar Degas und nicht zuletzt an die die so phantastischen wie realistischen Charakterköpfe eines Franz Xaver Messerschmidt , der zu seiner Zeit dem Geheimnis der Darstellung von Gemütszustanden auf der Spur war. In ihrer Opulenz vielleicht auch den Nanas einer Niki de St. Phalle verwandt, nähert sich mit Caro Suerkemper ein weiblicher Blick der heutigen Künstlerinnengeneration dem innersten Wesen der von ihr dargestellten Gemüter. Subtil und ohne Hemmungen befragt sie allgegenwärtige sichtbare Zeichen, sucht Auslöser, Indizien für Gedanken, Ursachen oder Folgen, so delikat, so provokant, so fern oder so naheliegend diese sein mögen. In diesem Oeuvre gibt es keine Tabuzonen. Jedes Werk sucht tastend nach neuen Erfahrungen, schärft den Blick und evoziert neue Sehweisen. Sehnsüchtig und voller Leidenschaft halten die Protagonistinnen allen Erwartungen ungerührt stand. Auch aus nächster Nähe betrachtet bleiben sie ganz bei sich und wahren die ihnen eigene und immer höchst eigenwillige Distanz.

* Caro Suerkemper »Wasserfarben«, Ausstellung, Galerie der Stadt Stuttgart, 13.3.–25.4. 2004

 


Birgit Möckel 2013


Marianne Werefkin Preis – Laudatio

Laudatio aus Anlass der Verleihung des Marianne Werefkin Preises 2013

Caro Suerkempers Figuren zeigen einmal mehr Mut und Zumutungen in immer neuen Haltungen und Metaphern, die an tradierte Märchen, wie jenes von der unverbesserlichen »Pechmarie«, sowie an soziale Gefüge, Bindungen, Disziplinierungen und Ordnungen erinnern, worauf nicht zuletzt die Tracht als wiederkehrendes Thema ihrer Arbeit verweist. In längst vergangenen Epochen und im unerschöpflichen medialen Bilderrepertoire unserer Gegenwart haben die Werke ihren Ursprung. Hier findet die Künstlerin die Motive, die ihre weit umfassenderen Themen und damit verwobenen Fragen und Einsichten transportieren.

Gearbeitet aus gebranntem, glasiertem und bemaltem Ton mit matten oder glänzenden, rohen und so skizzenhaft wie fein modellierten Partien locken sie den Betrachter und wollen ganz nah und rundherum gesehen werden. Erst in der Nahsicht zeigen sich die feinen Poren, die wie gepudert wirkenden Bäckchen, brüchiger Glanz oder sensible Details, die an ferne Ahnen aus der Kunst- und Kulturgeschichte wie aus dem prallen Leben denken lassen. Erinnern uns nicht beispielsweise jene dekorativ »angarnierten« Röschen und hellgrünen Blättchen jener etwas überlebensgroßen opulenten Grazie in Weiß auch an allseits bekannte voluminöse »Hochzeitstorten«, bevor wir infolge des gen Himmel gerichteten Blicks vielleicht auch an die Hl. Theresa denken, die durch einen – selbstverständlich von einem Engel – auf ihr Herz gerichteten Pfeil einst in äußerste Verzückung geriet. Bernini setzte ihr in Rom ein unvergessliches Denkmal. Manch einer unter Ihnen kennt sicher jenen von ihm in Stein gemeißelten Moment, der diese Vision der Mystikerin und die dadurch ausgelöste Verzückung inszeniert.

Caro Suerkempers Objekte locken mit lauten und leisen Tönen und rühren uns mit ihren Blößen, sei es Nacktheit oder seien es entblößende »Augen-Blicke« voller Hingabe, Heiterkeit, Überschwang oder Ernst. »Hingucker« sind sie allemal. Lebensnah, direkt, zuweilen drastisch und immer feinsinnig bis hin zur Melancholie – oder ist es doch Ironie- sprechen uns diese Figuren ganz unmittelbar an, um sich dann doch hinter ihren glänzenden und brüchigen Oberflächen auf eigentümliche Weise zu verbergen. Je näher man den feinen Damen, Weibsbildern, Püppchen, Frauen allesamt – diesen Büsten oder sogenannten Schulterstücken – kommt, desto mehr scheinen sie sich zu entziehen, scheinen auch in delikatesten Situationen gewappnet gegen alles, was an Zumutungen über sie schwappt. Starke Charaktere, schwache Charaktere – wer will das wissen? Achtung beim Betrachten dieser Werke, die doch immer fragen, wonach der Betrachter trachtet…. Oder, wie Caro Suerkemper einst treffend formulierte: »nach was trachtet eigentlich ein betrachtetes Objekt?«…

In allen Arbeiten verbinden sich unmittelbare Präsenz und zerbrechliche Konsistenz, malerische wie plastische Qualitäten auf sinnfällige Weise. Jeder Eingriff, sei er von Hand modelliert oder beim Brennen der Arbeit bewusst gesteuert oder zufällig entstanden, hinterlässt Spuren, die die Wahrnehmung lenken. Sie zeigen sich als greifbarer Ausdruck eines intensiven Gefühls, das sich über Zeiten und Konventionen hinweg, jenseits von Materialität und Präsentationsort immer neu entdecken, verorten und in Beziehung setzen lässt. Man muss nicht ständig neu erfinden, sondern Dinge nur immer neu sehen. »Ich glaube nicht an Fortschritt im Sinne von Erfindung, ich glaube eher an Neubelebung, dass man etwas immer wieder abtastet und erneut kontrolliert und verfeinert. Verfeinerung ist vielleicht heute der Fortschritt«, so Caro Suerkemper vor 11 Jahren in einem Interview, das sich auf ihre Aquarelle und Gemälde bezog, sich jedoch umstandslos auch auf ihre heutige Arbeit mit Ton übertragen lässt.

Spätestens seit ihrem Arbeitsaufenthalt am EKWC (2008), dem anerkannten European Ceramic Workcenter in Holland, für das sie sich aktiv bewarb, steht das Material Ton an erster Stelle ihres Schaffens. Zunächst wollte Caro Suerkemper einfach Ton bemalen. Möglichst große Vasen sollten es sein. (Man erinnere sich an antike Amphoren mit ihren kultischen und erotischen Bildergeschichten.) Doch wie diese herstellen? Als ausgebildete Malerin zu wenig mit dem Material und seiner Verarbeitung vertraut, entstanden zunächst Teller als glänzende Flächen für hintergründige Bilder. Inzwischen geht ihr die Arbeit leicht von der Hand. Mehr und mehr scheint der einstige Glanz matter Textur und sichtbarer Brüchigkeit zu weichen. Risse und Sprünge sind Teil des Schaffensprozesses und bleiben ungeschönt. Vereinzelt zeigen sich in der Allansichtigkeit neue Perspektiven in das Innere – sei es der Entstehungsprozess oder Geschichten, die gleichsam im Hinterkopf wachsen. Man darf gespannt sein auf weitere Entwicklungen.

Und doch sieht sich die Künstlerin nicht als Bildhauerin im klassischen Sinne. Sie bleibt immer auch Malerin, die in Farben und Strukturen, Oberflächen, Schichten und Überlagerungen denkt und jeder zu fest umrissenen, vielleicht zu festgefahrenen Figur mit einem schnellen und mutigen Guss – mit partiellem Verdecken, neue Entdeckungen und Freiheiten einverleibt, die dann nach dem Brand fein säuberlich, akribisch, bemalt werden. Einmal gefundene »Modelle« dienen als Ausgangsstoff und Versatzstücke für immer neue Konstellationen, die sich farblich, räumlich an Gegebenheiten anpassen, ihre Position ändern können und insbesondere durch Überformung mit Farbe, Glanz und Mattheit immer neue Anziehungskräfte entwickeln. Dabei kann die Schüttung zur stützenden Plinthe aus Farbkleksen werden, zum Teil einer Haartracht oder wächsern wirkenden Glasur, die an die Vergänglichkeit von feinen Torten und mystischen Visionen oder an das Märchen von Glück- und Pechmarie erinnern.

Seit ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei den Professoren Peter Dreher und Norbert Tadeusz wurde Caro Suerkemper mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet, beispielsweise dem Landesgraduiertenstipendium und der Kunststiftung Baden-Württemberg, dem Kunstfonds Bonn, Junge Kunst Essen, Schloss Balmoral und anderen mehr. Seit 1990 lebt die Künstlerin in Berlin. Projekte und Ausstellungen an vielen renommierten Häusern sowie in diversen Galerien zeigen immer wieder neu die Strahlkraft und subtile Anpassungsfähigkeit ihrer Bildwelt an vorhandene oder eigens gebaute Architekturen, Zeiten und Räume. In besonderer Weise gelang dies im historischen (und rekonstruierten) Ambiente der Villa Metzler in Frankfurt am Main mit einem feinsinnigen Zusammenspiel von Architektur, Kultur und Kulisse, die Traditionen und tradierte Sehweisen augenzwinkernd hinterfragten oder hier in Berlin in der gerade zu Ende gegangenen raumgreifenden Installation, die sie zusammen mit Matthäus Thoma für die Galerie Gilla Lörcher entwickelte. (Der gerade erschienene Katalog liegt aus.) »In heißer Lieb gebraten« sowie »Sturm und Bedrängnis« lauteten die fröhlich-sinnigen Titel der letztgenannten Präsentationen voller »Mut und Anmut« und »in heißer Lieb gebraten« – so weitere, nicht weniger sinnfällige Titel ihrer zahlreichen Ausstellungen. Immer zeigt sich die Künstlerin als unverdrossene Verfechterin eines Menschenbildes, das sich weiblich zeigt und geradewegs auf die Gesellschaft mit ihren Traditionen, Regeln, Konventionen, Ordnungen, Macht und Ohnmacht zielt.

 


Conny Becker 2012


Muse

Denkt man an den Künstler und seine Muse, so drängt sich die Assoziation des kreativen Genius mit seiner liebreizenden Inspirationsquelle auf, die trotz ihrer bedeutenden Stellung (ohne Inspiration kein Kunstwerk) meist auf eine Art austauschbares Objekt reduziert wird. Doch was, wenn sich die Musen emanzipieren, gegen ihre aufgezwungene Passivität auflehnen?

Diese Situation scheint bei Caro Suerkempers auf Papier oder in Keramik eingefrorenen Frauenfiguren eingetreten zu sein. Mit den rundlichen Gesichtern noch ganz Mädchen, vom Körper her bereits Frau, zeigt die Künstlerin ihre Protagonistinnen in einer Art spätem Spiegelstadium. Während dies nach dem Psychoanalytiker Jacques Lacan eigentlich zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat liegt, treffen wir es bei Suerkempers weiblichen Figuren eher zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr an. Doch analog zu Lacan kann man auch hier von einem »Aha-Erlebnis« sprechen, bei dem der Körper in seiner Einheit (Lacan) respektive in seiner sinnlichen Macht (Suerkemper) und somit schließlich das Selbst erkannt wird. Aber damit nicht genug. Denn ebenfalls ganz im Lacan’schen Sinn kann man bei Suerkempers Werken den »Blick zurück« (the gaze) ausmachen, der dem vermeintlich dominanten männlichen Künstler oder Betrachter unerwartet entgegenschlägt, ihn ertappt und im Innersten verunsichert.

Zuträglich bei dieser Überrumpelung durch das Kunstwerk ist das subtile Spiel zwischen Naivität und Laszivität der teils gezeichneten, teils geformten Frauenkörper. Während diese Körper nicht versteckt, vielmehr bewusst exponiert werden, befinden sie sich in einer scheinbar unschuldigen, spielerischen Haltung, die die Objekte der Begierde (Musen) umso begehrenswerter machen. Suerkempers Art zu arbeiten unterstützt dies zusätzlich. Denn sie formt ihre Plastiken auf eine barocke Rundumsicht hin, womit das Werk dem Betrachter immer überlegen ist, ihm stets etwas vorenthält. Sie regt damit an, klischeehafte Rollenzuschreibungen zu hinterfragen – denn das Objekt hat sich schon längst zum Subjekt gemausert.

 


Jean-Christophe Ammann2012


Rapture and Ecstasy

Caro Suerkemper’s work is wonderfully delirious! The religious rapture familiar to us from baroque times was metaphysically based. But Caro Suerkemper updates it to the present, making it worldly by ecstasizing skin, pores and body orifices. Her artistic domain is thoroughly feminine. Already the size of these glazed ceramic figures is reminiscent of possible female cupids for whom everything was permitted in olden times. Their exorbitant innocence is limitless. Caro is the director who establishes the hierarchies, the world “above” and the world “below”, the interior and the exterior – and the voluptuousness of rapture by orchestrating ecstasies with lusty whisperings, groanings and whinings. The illustrations do not do justice to these sculptures. One has to walk around them and devour them with one’s eyes. One has to surrender to the lewd and lascivious, the lustful and the painful, the ecstatic and the ascetic – the ancient Christian-Christological body paradigms – with a shudder of recognition.

In Caro Suerkemper’s pandemonium, each individual is there for the next. One shares rapturously and even mischievously a lust for suffering, for lust itself, or just the expectation of lust. This is witnessed for example by the foot of a figure in a frilly skirt. Sitting on a round pedestal, her foot is inclined inwardly, the instep taut and the toes spasmodically splayed. But look at her countenance: a moving, lustily suffering expression, expecting her arms and hands clenched behind her back to be bound at any moment.

One of my favourite sculptures is the kneeling pregnant figure cast in bronze. With hands folded at breast height and head thrown back, she prays fervently with open mouth and tongue extended. On lifting the dainty dress that Caro has fashioned for her, her delightful posterior is revealed. But for what is she praying? It could be anything: that everything shall go well, that a saint shall see the light of the day, that she herself shall soon be impregnated again although already pregnant. Intensity, absurdity and irony all meet here at a single point of speechless rapture.

Betende · 2006 · edition: 5 · cast bronze, silk dress · H 44 cm · photo: Axel Schneider

Caro infiltrates art and creative craftsmanship ranging from Bernini to the Delft tiles. She is a prankster who loves experimenting, and lives in continuous symbiosis with her figures. She laughs and suffers with them. Her kind of language and way of talking links works and actions as in her numerous watercolours. As if there were a dialogue, as if she were replying to the demands of those involved in her works.

While the American artist Jeff Koons lets communicative coldness collapse into infantile everyday objects, Caro Suerkemper takes recourse to European tradition and irreverently glorifies the coded metaphors of olden times, creating an orgy of explosive sensuality.

In this sense Caro Suerkemper is like the mystic Teresa of Ávila: obsessive and inspired. El Castillo Interior (The Interior Castle) authored by Teresa in 1577 contains seven “mansions”, so the Villa Metzler in Frankfurt / Main has now become Caro’s Castle. In each of the rooms, historically reconstructed in different styles –aristocratic, grand bourgeois –, there is a gauntlet to be picked up: a sculpture by the artist that is precisely placed in the right position. I think I know exactly what happens: the sculpture influences the room so strongly that when it is no longer there, it will still appear as an afterimage. It will have taken such hold in our unconscious minds that we shall physically feel its absence.

 


Verzückung und Ekstase

Caro Suerkemper tut etwas Wunderbares: Sie deliriert! Wir kennen die religiösen Verzückungen aus dem Barock. Sie waren metaphysisch verankert. Caro Suerkemper holt sie in die Gegenwart, verweltlicht sie, setzt Haut, Poren und Körperöffnungen in Ekstasen. Die Domäne, in der sich die Künstlerin bewegt, ist durchgehend weiblich. Schon von der Größe der Figuren her, in glasierter Keramik, könnten es weibliche Cupidos sein, denen in früheren Zeiten bekanntlich alles erlaubt war. In ihrer Unschuld sind sie maßlos, kennen keine Grenzen. Caro ist die Dirigentin, bestimmt die Hierarchien, die Welt »oben« und die Welt »unten«, das Innen und Außen, den Grad der Wollust in der Verzückung, orchestriert Ekstasen wie ein vielstimmiges, lustvolles Flüstern, Stöhnen, Wimmern. In den Abbildungen lassen sich die Skulpturen nur schwer erfassen. Man muss sie abschreiten, mit den Augen abtasten, sich in das obszön Verwunschene hineinbegeben, Lust, Schmerz, Ekstase und Askese – die Paradigmen des christlich-christologischen Körpers – wie einen Schauer der Erkenntnis erleben und spüren.

Im Pandämonium von Caro Suerkemper ist jeder für jeden da. Man teilt sich fröhlich, selig, ja verschmitzt die Lust am Leiden, die Lust an der Lust, allein schon die Erwartung der Lust. Davon spricht beispielsweise der Fuß einer Figur in einem Rüschenrock. Sie sitzt auf einen Rundsockel. Der Fuß ist nach innen gedreht, der Rist ist gespannt, die Zehen sind spasmisch verzückt. Aber jetzt das Antlitz: ein bewegender, lustvoll leidender Ausdruck, mit der Erwartung verbunden, dass die auf dem Rücken verschränkten Arme und Hände gefesselt werden.

Eine meiner Lieblingsskulpturen ist die in Bronze gegossene kniende Schwangere. Sie hat die Hände auf Brusthöhe gefaltet, den Kopf in den Nacken geworfen, betet inbrünstig mit offenem Mund und freiliegender Zunge. Caro hat ihr ein Kleidchen genäht. Hebt man es an, kann man den entzückenden Po bewundern. – Was meint das Gebet? Es kann alles bedeuten. Dass alles gut gehen möge, dass ein Heiliger das Licht der Welt erblicken möge, dass sie, obwohl hochschwanger, gleich nochmals geschwängert werden möchte. Intensität, Absurdität und Ironie treffen sich an einem Punkt, der einen sprachlos glücklich macht.

Betende · 2006 · edition: 5 · cast bronze, silk dress · H 44 cm · Foto: Axel Schneider

Caro unterwandert Kunst und Kunsthandwerk, von Bernini bis zu den Delfter Kacheln. Sie ist ein experimentierfreudiger Schelm, der in einer kontinuierlichen Symbiose mit den Figuren lebt. Sie lacht und leidet mit. Es gibt eine Art Sprache, ein Reden, das Werk und Tun verbindet, so wie in den zahlreichen Aquarellen. Als gäbe es da Dialoge: Forderungen vonseiten der im Werk Involvierten.• Während der Amerikaner Jeff Koons die kommunikative Kälte in infantilen Alltagsgegenständen implodieren lässt, greift Caro Suerkemper auf die europäische Tradition zurück, verfickt die codierten Metaphern von damals, macht daraus ein phantasmagorisches Fest von berstender Sinnlichkeit.

Caro Suerkemper ist wie die Mystikerin Teresa von Ávila: eine erleuchtete Besessene. Teresa hat 1577 »Die innere Burg« geschrieben. In dieser Burg gibt es sieben Wohnungen. So wird jetzt die Villa Metzler in Frankfurt am Main zu Caros Burg. In jedem der historisch rekonstruierten Lebensräume – aristokratisch, großbürgerlich –, findet sich ein »Fehdehandschuh«, eine Herausforderung, eine Skulptur der Künstlerin, präzis und überlegt platziert. Ich glaube genau zu wissen, was passiert: Die Skulptur wird den Raum in dem Maße prägen, dass sie, wenn sie nicht mehr vorhanden ist, wie ein Nachbild wirken wird. Sie wird sich in unserem Unbewussten einnisten, machen, dass wir das Fehlen körperlich spüren werden.


Sabine Runde 2012


Verging on Primordial Matter

An Emphatic Encounter

During a residency near Deruta, which is still one of the main centres for making Italian majolica, Caro Suerkemper – otherwise well known for her gentle gouaches with a hidden meaning – rediscovered this ceramic technique for herself. Why not experiment with using the plate as an architecturally defined space in which to paint, develop a painting style based on the repertoire of underglaze colours, have her cheeky subjects appear from the bottom of the bowl as the food is eaten up? – The results made her keen to continue, and a residency at the European Ceramic Workcentre in ’s-Hertogenbosch, an international workplace where artists, architects and designers explore the technical possibilities of ceramics, took her a stage further. Her painted figures became three-dimensional.

She concentrated entirely on ceramic as the material to embody her vision. With an enthusiasm that knew no bounds, she tackled the complex technical science and, driven by her unerring artistic instincts, mastered it. She immersed herself in this material for a long time, developing her own methods of production, finding experts in all the technical aspects that were important to her such as mould-making and firing, even exploring the tricky area of underglaze painting for her own ends, so that it seemed entirely natural for an impression of gouache to creep in as the surface beneath the glaze, or for reflective surfaces to take on the appearance of suits of armour. Behind every detail of the final effect is a whole genealogy of technical processes of which the viewer is entirely unaware.

In her moulding, too, she has succeeded in transferring her unique style directly to the ceramic material, the clay. Always to be found with a lump of clay in her hand, she kneads and shapes it with the same ease with which she sketches. Unusually, she builds her figures from the top downwards. The top of the head and the face are the first to appear. Gradually she creates the main figures and body plaitings until she finally arrives at the plinth, the foot. – The directness of the moulding, kneading and modelling enables her to transfer all the spontaneity of her artistic vision from her hands through her fingertips to the figure. There is the same liveliness of expression which causes art historians to wax lyrical about “bozzetti” (preliminary working models). In the work of Caro Suerkemper, we find this quality in the texture of the skin, with its endearing little dimples, the upturned noses, the indignant chins, the curiously rapt gaze, the entwined or grabbing hands, and also in the deliberate vagueness which allows room for the imagination, before finally culminating in the fully rounded, exuberant, movement-filled composition. With loving irony, she expresses her delight in the female body, and how it twists and turns, as a “figura serpentinata”, one of the typical styles in Mannerism, which she adapts for the present day with natural verve.

The artist has moved her figures into the Museum of Applied Art Frankfurt, where they will enter into an uninhibited dialogue with the past in the period-themed rooms of the Historic Villa Metzler. For Suerkemper, historic objects are not dead material: whether it is baroque porcelain or furniture, she feels a sensory connection with them, in the powerful presence of works which occupy their space with the utmost certainty of their own good taste and dignity. – Nine domestic and furnished scenes, room collages reflecting eras from Baroque to Art Nouveau, composed and constructed from the museum’s collections and with the help of replica wallpapers and coordinating textiles, create – from the artist’s point of view – a pantheistic landscape in which her figures can move. – Just as the room settings in the Villa take us back to different eras of history, so the title of the exhibition “Roasted in hot love”– a line from a Lutheran Easter hymn (1524) – hints, with its dramatic power, at one side of the German Renaissance. The choice of title gives poetic emphasis to the contradictions within Suerkemper’s creatures. They, for their part, attempt to assert their position, to confront the uninterrupted desire for beauty, the perfect aesthetic, and to disturb its hermetic existence with fantasies about sensuality and (im)morality. Like weeds growing wild, they are as if camouflaged in their environment, mixing in with this exclusive community, balancing like lustful martyrs on a pillar or holding empty plates towards us. They loll around, wrestle, tear at each other’s hair, sit unsuspectingly like sacrifices in a bowl, or stand lost and homeless among the travelling paraphernalia of the Biedermeier period. – Insidiously, subliminally and apparently innocently, Caro Suerkemper’s creations compel us to look in a new way at the silent assembled witnesses of those days, infiltrating a subtly different level of perception into the image that has been constructed and leaving the visitor with a titillating doubt about what may really be going on here.

 


Dem Urstoff so nah

Eine emphatische Begegnung

Während eines Stipendienaufenthalts in der Nähe von Deruta, einem bis heute aktiven Zentrum italienischer Majolika, entdeckte Caro Suerkemper, sonst bekannt für ihre zarten Gouachen mit Hintersinn, diese keramische Technik für sich. – Warum nicht das Spiel mit der Tellerform als architektonisch definierten Malraum auskosten, die Malerei aus dem Reservoir der Glasurfarben entwickeln, in der Verbindung zum Aufessen ihre frechen Sujets aus dem Tellergrund auftauchen lassen? – Die Resultate weckten die Lust auf mehr, ein Stipendium im Europäischen Zentrum für Keramik in ’s-Hertogenbosch, dem internationalen Ort für Künstler, Architekten und Designer, an dem sie die technischen Möglichkeiten der Keramik austesten können, brachte sie noch einen Schritt weiter. Sie ließ ihre Figurenmalerei in die Dreidimensionalität wachsen.

Als Material für ihre räumliche Vision hat sie sich auf die Keramik eingelassen. Mit einem Grenzen ignorierenden Enthusiasmus erobert sie die schwierige technische Wissenschaft und macht sie sich, angetrieben von ihrer untrüglichen künstlerischen Intention, untertan. Längst hat sie sich tief in diese Materie versenkt und eigene Herstellungswege entwickelt; in allen ihr wichtigen technischen Teilfragen, wie Formbau oder Brennprozess, hat sie Spezialisten aufgetan, selbst das schwierige Terrain der Glasurbemalung für ihre Anliegen so entwickelt, dass sich wie selbstverständlich die Anmutung der Gouache auch als Unterglasuroberfläche einstellt oder spiegelnde Oberflächen wie Rüstungen erscheinen. Hinter jedem Detail der Wirkung steckt eine Genealogie der technischen Prozesse, die der Betrachter nicht einmal ahnt.

Auch in die Formgebung ist es ihr gelungen, ihre Handschrift direkt in die keramische Masse, den Ton zu übertragen. Immer einen Klumpen Ton dabei, knetet und formt sie mit der gleichen Leichtigkeit, mit der sie skizziert. Ihre Figurenkomposition wächst unorthodox von oben nach unten. Die Spitze, der Gipfel, das Gesicht entsteht zuerst. Nach und nach baut sie die tragenden Figuren und Körpergeschlinge, bis sie beim finalen Sockel und Fußende landet. – Das Direkte des Formens, Knetens, Modellierens ermöglicht die Übertragung der ganzen Spontaneität ihres künstlerischen Wollens von der Hand, den Fingerspitzen in die Form. Es entsteht eine Lebendigkeit des Ausdrucks, die Kunsthistoriker am Bozzetto mit hymnischen Worten besingen. Bei Caro Suerkemper begegnen wir dieser Qualität in Hautoberflächen, mit ihren kleinen, liebenswürdigen Dellen, den himmelwärts zeigenden Näschen, dem entrüsteten Kinn, seltsam verzücktem Blick, verschlungenen oder grapschenden Händen ebenso wie in der gekonnten Ungenauigkeit, die den Freiraum für Vorstellungen bildet, bis sie schließlich im Rundherum der quirlig lebendigen Bewegungskomposition kulminiert. Ihre Freude am weiblichen Körper und seinen Möglichkeiten, sich zu drehen, zu wenden, inszeniert sie liebevoll ironisch ganz im Sinne einer figura serpentinata, eines Topos des Manierismus, den sie mit natürlicher Verve gegenwartstauglich macht.

Ins Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt ist die Künstlerin mit ihren Figuren eingezogen, um dort in den Epochenräumen der Historischen Villa Metzler mit der Vergangenheit in einen ungenierten Dialog zu treten. Die historischen Dinge sind für Suerkemper keine tote Materie, ob barocke Porzellane oder Möbel, der machtvollen Präsenz der Werke, die ihren Raum mit einem Höchstmaß an geschmacklicher Sicherheit und Würde behaupten, fühlt sie sich auf einer sinnlichen Ebene verbunden. – Neun Wohn- und Mobiliarambiente, Raumcollagen zu Epochen von Barock bis Jugendstil, konstruiert und inszeniert aus den Sammlungen des Museums, unterstützt von Repliktapeten und abgestimmter Textilausstattung, bilden aus dem Blickwinkel der Künstlerin eine pantheistische Landschaft, in der sich ihre Figuren bewegen. – Wie die Raum-Bezüge in der Villa in verschiedenen Epochen in die Geschichte zurückgehen, so lässt der Ausstellungstitel „in heisser Lieb’ gebraten“ (1524), das Fragment eines lutherschen Lieds in seiner Drastik eine Seite der deutschen Renaissance fühlbar werden. Die Wahl des Titels verstärkt auf poetische Weise die Widersprüchlichkeit der Suerkemper’schen Wesen. Sie versuchen ihrerseits, ihren Platz zu behaupten, dem ungebrochenen Schönheitswillen, der vollendeten Ästhetik zu begegnen, diese in ihrer Hermetik durch Fantasien über Sinnlichkeit und (Un-)Sitten aufzustören. Wie wild wuchernde Gewächse verbinden sie sich scheinbar camouflageartig mit dem Ort, mischen sich unter die eingeschworene Gemeinschaft, balancieren lustvoll-märtyrerhaft auf einer Säule oder halten uns leere Teller entgegen. Sie rekeln, ringen, zerren sich an den Haaren, sitzen ahnungslos opferbereit in einer Schüssel oder stehen heimatlos verloren zwischen den Reiseutensilien des Biedermeier. – Schleichend, unterschwellig und vermeintlich arglos erzwingen Caro Suerkempers Geschöpfe einen neuen Blick auf die stumm versammelten Zeugen der jeweiligen Zeit, infiltrieren das konstruierte Bild mit einer anderen Wahrnehmungsebene und überlassen den Besucher seinem durchaus lustvollen Zweifel daran, was hier wohl gespielt wird.


Jeanette Zwingenberger 2011


Die Gefangenen der Caro Suerkemper

Was sagen Caro Suerkempers puppenartige, erotische Wesen über die sinnliche Begierde und die Wahrnehmung von Sexualität in unserer Zeit aus? Sind sie reine Projektionsflächen oder liegt ihre Faszination im Spannungsfeld des lockenden erotischen Aktes und des sich gleichzeitigen Entziehens?

Fein gemalte ineinander verschachtelte Szenen, oftmals kleinen Formates, sind charakteristisch für die Zeichnungen von Caro Suerkemper. Sie fordern ein genaues Hinsehen, das Hand in Hand geht mit dem voyeuristischen Vergnügen, das man beim Entdecken von Verstecktem verspürt. Dabei besteht das imaginäre Museum der Künstlerin aus volkstümlichen Darstellungen von Mädchen in traditionellen Trachtenkleidern, Erosfiguren aus der Rokokozeit, verzückten Heiligen im katholischen Himmelsreich und verlockenden Akrobatinnen aus zerbrechlicher Porzellanhülle, die an die blauweiß bemalte Porzellanplastik Meißens, aber auch an japanische Netsukefigürchen erinnern. Ihre zeitgenössischen Quellenvorlagen wiederum sind Frauen in Hardcore-Pornos, insbesondere aus dem Angebot sado-masochistischer Internetseiten. Die Künstlerin ist fasziniert von den dort anzutreffenden extremen Positionen und Körperverdrehungen, die sie mit Transparentpapier abskizziert, und erfindet mit diebischer Freude das dazu stimmige Gesicht.

In ihrer Arbeit hinterfragt Suerkemper die bildhaften Klischees von Frauen, denen in diesem fremdbestimmten Rollenspiel immer der gleiche passive, etwas blöde Gesichtsausdruck des Verlorenseins aufoktroyiert wird. Gerade durch die scheinbare Abwesenheit der Figuren werden diese für den Betrachter zu einer umso reicheren Projektionsfläche. Die Künstlerin dekliniert erwartetes Rollenverhalten von Beherrschen und Ausgeliefertsein durch. In einer angeblichen Unterwürfigkeit drehen die Objekte der Begierde den Eroberungstakt jedoch um. Der Betrachter sieht sich auf seine eigenen Fantasien zurückgeworfen: als Gefangener seiner eigenen Objekte.

Neckisch und mit hochfliegendem Rock thront die sogenannte Säulenheilige in einem gewagten Balanceakt auf einer Säule. Beide Beine klammern sich an der Kolonne fest, die Hände scheinen hinter dem Rücken wie von unsichtbaren Fesseln gehalten. In der Keramik P6-2011, teilt sich das kraftvolle Körperdrehen der Protagonistinnen dem Betrachter – wie im Zirkus oder einer Show im Moulin Rouge – geradezu physisch mit. Die tänzerische Geste steht dabei im Gegensatz zum inneren Ringen, ihr Ausdruck changiert zwischen beseelter Leichtigkeit und konzentrierter Anstrengung.

Diese sich entblößende Körperlichkeit einerseits sowie ein undeutbarer Gesichtsausdruck andererseits charakterisieren Suerkempers quirlige Gestalten. Ihre Figuren berühren uns, scheinen wie wichtelhafte Puppen zu jedem Streich bereit, trotzend und gleichzeitig in erwartungsvoller Haltung. »Die Puppen sind uns in die Wiege gelegt«, erläutert die Künstlerin vieldeutig, die in ihrer Arbeit hauptsächlich vom weiblichen Körper ausgeht, weil sie den am besten kennt.

 
Einblick in den Werkprozess

Der haptische Spaß der Formfindung, den Suerkemper beim Kneten des weichen Tons erlebt, überträgt sich mit ihren Skulpturen auf den Betrachter. Sowohl ausformulierte als auch sich im Prozess der Formwerdung befindliche Figuren, Statik und inneres Wuchern ergeben das plastische Gebilde. So scheinen etwa die drei akrobatischen Frauenfiguren der Plastik P3-2011, nicht zur Ruhe kommen zu wollen. Die zentrale, blau gekleidete hebt entgeistert ihren Kopf, strebt in höhere Gefilde, während sie sich auf ihre zwei nackten Kameradinnen stützt. Dabei sind Suerkempers graziöse Porzellanfiguren sowohl erhaben als auch ironisch bübisch und liebevoll.

Die Rundläufigkeit ihrer prallen, koboldartigen weiblichen Wesen ist wiederum von der Töpferscheibe bedingt. So fließt eine Form in die andere über, eine Bewegung wird von der anderen aufgenommen oder bildet rhythmisch einen Kontrapunkt. Der Schmelz der Glasur erinnert an Perlmuttglanz von Muscheln – möglicherweise ein versteckter Hinweis auf das weibliche Geschlecht?

Sei es in ihren Zeichnungen oder Skulpturen, Suerkempers Mädels kommunizieren stets mit dem männlichen Blick, der implizit immer da ist, sie unterhält, unterstützt und schließlich den voyeuristischen Betrachter auf sich selbst zurückwirft. Andererseits kennzeichnet sie das Spannungsfeld von Lust und Angst, Wollen und Nichtwollen, Können und Nichtkönnen, Macht und Ohnmacht. Daher funktionieren Suerkempers Werke wie Spielfiguren und Schauplätze unserer Phantasmen. Ist das Geheimnis, weshalb man sich zu diesen Figuren hingezogen fühlt, ein beschwingtes Gefühl der Verliebtheit oder sind es etwa die Mechanismen der Begierde, die hier bloßlegt werden? Eines der prominentesten Motive in Suerkempers Arbeiten ist schließlich die Bondage, was wörtlich Gefangenschaft und übertragen die Fesselung bei SM-Liebespraktiken bedeutet. Suerkemper spricht von der »Leibeigenschaft«. Ist man noch Herr seiner selbst, wenn man verliebt ist und seinen Körper dem Partner im Liebesaustausch überantwortet? Das Werk der Künstlerin trifft eine ganz archaische Ebene des erotischen Akt: diese entpersonalisierten, rein sinnlichen Liebesmomente, in denen man miteinander spielt, sich spielt.

 


Les captives de Caro Suerkemper

Que révèlent les poupées-créatures de Caro Suerkemper sur la perception de notre sexualité ? Sont-elles des figures de projection ? D’où provient notre fascination face à ces scènes ambivalentes, ces actes de séduction dans lesquels les ingénues s’exhibent tout en se refusant ?

Le musée imaginaire de Caro Suerkemper est peuplé de femmes vêtues de costumes traditionnels et populaires, de cupidons rococo ainsi que de saints catholiques pris dans un ravissement. Ses acrobates charmeuses conçues en une matière fragile, évoque autant la tradition de porcelaine de Meissen (ou de Saxe) que les Netsukes érotiques, miniatures japonaises. Ses aquarelles peintes avec délicatesse, représentent des saynettes que l’on pourrait emboîter les unes dans les autres. Souvent de petit format, elles demandent au visiteur de s’approcher, suscitant ainsi chez lui un plaisir voyeuriste, celui de découvrir ce qui se tient caché.

Ses sources contemporaines proviennent du Hardcore Porno, notamment des annonces sado-masochistes. L’artiste est fascinée par les positions extrêmes, les tournures des corps, qu’elle reproduit ensuite sur du papier transparent. Avec malice, elle réinvente à chaque protagoniste une tête appropriée. Dans son travail, elle interroge les clichés de ces femmes prises dans des jeux de rôles aliénants et qui affichent continuellement la même expression de « pétasses perdues » selon l’expression de l’artiste. Cette apparente absence fait d’elles des écrans de projection pour le spectateur.

L’artiste décline des situations convenues, toute en donnant à ses créatures le pouvoir de renverser la logique de domination et de soumission de sorte que le regardeur se voit confronté à ses propres fantasmes en devenant prisonnier de son propre objet de désir.

Trônant coquettement au sommet d’une colonne, une Sainte en robe virevoltante s’agrippe fortement à l’aide de ses jambes, tandis que ses mains placées dans le dos semblent nouées par des chaînes invisibles. Comme s’il assistait à un spectacle de cirque ou à une revue du Moulin Rouge, l’effort physique inattendu de la demoiselle saisit le spectateur, alors même que cette danse érotique semble contrebalancée dans une inexplicable lutte intérieure. L’exhibition du corps s’oppose ainsi à l’expression du visage qui s’absente. Une légèreté enjouée fait face à un effort extrême. À la fois défiantes et perpétuellement en attente, voici ce qui caractérise ces captives si attachantes. Elles s’apparentent à des poupées, prêtes à toutes les farces. « Les poupées nous sont données dès le berceau », souligne ironiquement l’artiste, dont le corps féminin constitue le point de départ de son travail.

Dans une autre sculpture, trois grâces forment une triade. Celle placée en hauteur, vêtue d’une robe bleu ciel, élève sa tête vers la sphère céleste tout en s’appuyant sur ses deux copines dénudées. Ces créatures sont à la fois sublimes, boute-en-train, effrontées et aimantes.


Processus de travail

Le plaisir tactile de pétrir l’argile et de trouver la forme se transmet au spectateur. Il y a d’une part les figures bien finies, parfaitement exécutées, et d’autre part celles qui demeurent à l’état d’esquisses. C’est cet état intermédiaire, entre statisme et prolifération, qui donne à ces structures leur particularité.

Le tour de poterie détermine les rondeurs de ces mutines charnues, tandis qu’une forme coule dans une autre, qu’un mouvement est repris par un autre ou en devient son contrepoint rythmique. Le glacis de la porcelaine rappelle le nacré des coquillages, le sexe féminin. Ces amoureuses dialoguent implicitement avec le regard masculin qui les soutient. Elles sont prises dans le champ de tension entre désir et peur, vouloir et ne pas vouloir, pouvoir et ne pas pouvoir, puissance et impuissance. Les œuvres de Caro Suerkemper fonctionnent comme des figurines de jeux ou des écrans de nos fantasmes. Par quel mystère nous captivent-elles ? Est-ce simplement au travers du sentiment amoureux, de cet état ponctuel d’insouciance, ou bien savent-elles manier avec habilité les mécanismes du désir ?

Un de ses motifs-clé, le Bandage évoque directement le servage. Lorsque l’amoureux transi/emporté n’est plus maître de son corps, lorsqu’il s’abandonne à l’autre dans l’échange amoureux. Son œuvre touche alors une dimension très archaïque de la passion : ces moments d’amour, de pure sensualité, et de béatitude où l’on joue et l’on est joué en retour.

 


Tanja Langer 2010


Grace and Dignity

“For the pious, the law of the Lord; for the profane, the law of his looks.” Once upon a time, “grace” was a full-blooded word, an object of desire, a joy worth having. Later, it acquired an absent quality, pleasant but mindless. La Rochefoucauld, the moralist, spoke of “je ne sais quoi” – I can’t pin it down. Grace had a secret symmetry, based on unknown rules. Then came domestication. Grace was nice, attractive, charming. But often it was insipid, like the porcelain figurines popular as table decor in the 17th and 18th centuries, which degenerated into bric-a-brac.

What of dignity? This belonged to a mindset of inner and external worth. Originally it denoted social rank. In time it came to mean the habitus of people of intellectual and moral autonomy, whose intrinsic value came across, like their right to self-esteem and to be respected. Dignity stood aloof. As Milton put it:

“Her virtue, and the conscience of her worth,
That would be wooed, and not unsought be won.”

Where rituals become a laughing stock, the mockers become betrayers of the passions of the subject of their ridicule. What passion could be more arousing than this self-surrender, this yielding to bondage, this over-response to self which is tantamount to worship?

At work, the artist listens to cantatas of Johann Sebastian Bach as she sets out to discover grace and dignity in the „immoral.“ Her portrayals are commonly dubbed pornographic, and the Greek pornea means sexual immorality. The term might be thought old-fashioned or innocent, like the smiles of some of her figurines.

These figures are not reflected in the gaze of the other person, but only in spaces which cast their own colours back at them. So they need the mercy sung of in the Bach cantata „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ (Gladly Shall I Bear the Cross – BWV 56). The artist sees this as an ideal, at the moment “when the raging deep is stilled at last.”

Suddenly a spiritual space opens amid practices classed as secularized sexuality. Contrary to all expectation, it comes precisely where it is least welcome, because it would disturb unhindered pleasure. A skandalon, indeed.


Anmut und Würde

»Dem frommen ist gott, dem bösen sîn anmut ein gesetz«: bevor die Anmut domestiziert wurde, zum Reizenden, Gefälligen, oft harm­los wie die Porzellanfiguren als Tischdekoration, die das 17. und 18. Jahrhundert liebten, später heruntergekommen zum Nippes, steckte in ihr, in der noch männlichen Wortform, ein affectus, Begierde, Lust und Appetit. Von Selbstvergessenheit, von schöner Gedankenlosigkeit war später die Rede. Rochefoucauld, der Moralist, sprach vom »je ne sais quoi«, jenem »gewissen Etwas« einer geheimen Sym­metrie, deren Regeln man nicht kennt.

Die Würde, dem Vorstellungskreis eines inneren wie äußeren Wertes zugehörend, den sozialen Rang zunächst bedeutend, bezeichnet im Laufe der Zeit jenen Habitus geistig und sittlich autonomer Wesen, in denen sich ihr innerer Wert ebenso kundtut wie ihr Anrecht auf Selbstachtung und Achtung anderer. Ihr Ausdruck ist: Distanz. Oder, wie Schiller es formulierte:

»Beseligend war ihre nähe / und alle herzen wurden weit, / doch eine würde, eine höhe / entfernte die vertraulichkeit.«

Wo Rituale der Lächerlichkeit preisgegeben werden, werden Akteure zu Verrätern der Passionen ihres Gegenübers. Welche Passion wäre so erregend wie dieses Sich-Ausliefern, das sich in Fesseln begibt, dieses Sich-Überantworten, das einer Anbetung gleichkommt?

Die Künstlerin hört bei der Arbeit Kantaten von Johann Sebastian Bach, wenn sie sich auf den Weg macht, in Darstellungen, die gemeinhin als pornographische bezeichnet werden, Anmut und Würde der »Unzüchtigen« zu entdecken, denn nichts anderes bedeutet das griechische pornea, Unzucht. Altmodisches Wort, möchte man meinen, so unschuldig wie das Lächeln mancher ihrer Figuren.

Figuren, die sich nicht im Blick des anderen spiegeln, sondern nur in Räumen, die ihnen ihre eigenen Farben zurückwerfen, brauchen jene Barmherzigkeit, von der die Bachkantate »Ich will den Kreuzstab gerne tragen« (BWV 56) spricht, und in der die Künstlerin ein Ideal sieht, dann nämlich, »wenn das wütenvolle Schäumen sein Ende hat«.

Plötzlich zeigt sich in den vermeintlichen Praktiken säkularisierter Sexualität ein seelischer Raum, gerade dort, wo alle Erwartung dies nicht erlaubt, weil es den ungehemmten Genuss zerstören würde. Ein Skandalon.


Grâce et dignité

« Le pieux trouve sa loi en Dieu, le mécréant dans la grâce » : Avant que la grâce ne soit domestiquée et ne devienne aussi agréable, plaisante et inoffensive que les figurines en porcelaine des arts de la table des 17ème et 18ème siècles, et avant qu’elle ne soit dégradée en objets dérivatifs, elle contenait, dans le terme masculin affectus la notion de plaisir, de désir, d’appétit. Plus tard, il sera question d’oubli de soi, de belle inconscience. La Rochefoucauld, le moraliste, évoquait le « je ne sais quoi », cette symétrie mystérieuse dont on ignore les règles.

La dignité qui appartient au registre représentatif de la valeur intérieure et extérieure indique d’abord le rang social, puis signifie au cours du temps cet habitus des êtres spirituellement et moralement autonomes dont la valeur intérieure se manifeste au même titre que leur droit à être respecté et à respecter autrui. Autrement dit : valeur égale distance ou, selon Schiller, « près d’elle on se sentait heureux, tous les cœurs se dilataient ; cependant sa dignité majestueuse éloignait toute familiarité. »

Quand les rituels sont livrés au ridicule, les acteurs trahissent la passion de leurs partenaires. Quelle passion serait plus excitante que cet abandon de soi qui s’enchaine, ce don de soi qui ressemble à une adoration ?

Caro Suerkemper écoute des cantates de Jean Sébastien Bach, quand elle travaille, quand elle tâche de repérer, dans des représentations généralement considérées pornographiques, la grâce et la dignité des « licencieux ». Car le terme grec pornea ne signifie rien d’autre que commerce licencieux, terme désuet, serait-on tenté de dire, aussi innocent que le sourire de nombreuses sculptures de Caro Suerkemper.

Les figures qui ne se reflètent pas dans le regard du spectateur, mais seulement dans des espaces qui leur renvoient leurs propres tonalités, ont besoin de cette miséricorde dont parle la cantate de Bach : « Je porte volontiers la croix » (BWV 56). Elle représente un idéal pour l’artiste, notamment « quand la fureur de l’écume connaît sa fin ».

Soudain apparaît dans les supposées pratiques de sexualité sécularisée un espace d’âme, là justement où l’on s’y attend le moins, car la jouissance sans entrave en serait détruite. Un scandale.


 

Philippe Rey 2010


Mercy

Again, Berlin-based artist Caro Suerkemper (1964) shows no mercy. She undermines the fundamental contradiction between the position of the absolute and the dialectics of the relative and prompts us to replace a historically sufficiently legitimised, supremely untroubled self-confidence with a reflex action of self-mockery. However, what is apparent in the foreground of her work – obvious situations of bondage, women relieving themselves, constricting clothes, laced breasts, exposed buttocks, but also snub-nosed kids who make you smile – in short, appearances, the entire sphere of the empirical inner and outer world – is just a means and a form of pathos, leading us to the underlying realities.

Subtly and efficiently in work of outstanding quality, using brush, crayon, and her fingers, Suerkemper manages not merely to question but also to unmask what not just the church and society have been attempting for centuries: to curb women’s tongues – mulierem ornat silentium (silence becomes a woman). She wants to take us down to the depths, down to the tectonic plates where social, normative, moral and aesthetic earthquakes interconnect in a complicated way. Kant’s idea that what is important in reception (or “aesthetic judgement”) is what we make of given ideas is preluded by Suerkemper to the extent that, although she makes the impression created by what is desirable or beautiful dependent on certain conditions, these in themselves are not the truth but merely a precondition.

Suerkemper likes to point out that her work also contains some baroque elements. In fact, not only her drawings, china figures, underglaze painting and marble sculptures, but also the titles of her works (Anmut (Grace), Würde (Dignity), Gnade (Mercy), Carokoko, etc.) are extraordinary and for this reason alone baroque – though also ambiguous. Whereas we are gripped by the extraordinary in the art of Ancient Greece and Rome, it repels us in baroque art: we find it disturbing, an annoying ambiguity, e.g. a praying figure, bent over in convulsions, a woman of “baroque” proportions urinating in a wheelchair. Why these gestures, we ask ourselves. Why indeed? Have mercy on us, the recipients.

 


Gnade

Auch mit ihren neusten Arbeiten kennt Caro Suerkemper (1964) keine Gnade: Sie rüttelt am fundamentalen Gegensatz zwischen Setzung des Absoluten und Dialektik des Relativen, sie fordert uns auf, ein historisch hinlänglich legitimiertes, souverän unaufgeregtes Selbstbewusstsein in einem reflexiven Akt der Selbstverspottung aufzuheben. Das vordergründig Sichtbare, manifeste Bondagesituationen, Frauen bei ihrer Notdurft, einengende Trachten, geschnürte Brüste, exponierte Arschbacken, aber auch schmunzelanregende Stupsnasenlütten, also der Augenschein, diese ganze Sphäre der empirischen inneren und äusseren Welt ist jedoch bei ihr bloss Mittel und Pathos, um auf dahinterliegende Wirklichkeiten zu führen.

Caro Suerkemper kleidet ihr bohrendes Interesse an Differenzen, an Hintergründigem in optische Reize und schillernde Farben; die Selbstdarstellung ihrer Figuren unterläuft sie mit skurriler Überzeichnung. Sie macht das sichtbar, was sich dem Sichtbarwerden entzieht: die Entscheidungsprozesse, die Effekte von Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Würde. Ihr gelingt auf subtile, aber effiziente Weise das, was nicht nur Kirche und Gesellschaft jahrhundertelang versuchten, die Disziplinierung der weiblichen Zunge, mulierem ornat silentium, in herausragender Qualität mit Pinsel, Stift und Fingern nicht nur zu hinterfragen, sondern auch blosszustellen. Ihre Kunst ist wahre Avantgarde.

Wahr, weil sie dem Menschen, metaphorisch gesprochen, den Blick auf das Dasein, die wahre Realität freilegt. Sie geht hier entschieden an die Grenzen und noch etwas weiter, gar bis ans Gemeine. Einwände mangelnder Dezenz jedoch laufen hier ins Leere. Diese mit meisterlicher Hand produzierten, so lustvoll verschachtelten Aquarelle und Skulpturen spritzen vor barockem Pathos, und doch – dem aufmerksamen Betrachter bleiben sie transparent nicht nur im Einsatz der Kunstmittel, sondern auch auf das Thema hin: Es geht um die Tiefenschichten, hinab zu den tektonischen Gründen, wo soziale, normative, moralische und ästhetische Erdbeben auf komplizierte Weise miteinander verbunden sind. Kants Gedanke, dass es in der Rezeption (resp. »ästhetischen Beurteilung«) darauf ankomme, was wir aus den gegebenen Vorstellungen machen, wird bei Suerkemper insofern präludiert, als sie den Eindruck des Begehrlichen oder des Schönen zwar von bestimmten Verhältnissen abhängig macht, doch diese sind nicht selbst das Wahre, sondern nur Vorbedingung. Während die aggressiven Energien oppositioneller Kunst heute weitgehend in der Luft verpuffen, während sich auf ihre Mutter berufende oder mit Pornostars kopulierende Künstler gehypt werden, ist Suerkempers Position avantgardistisch. Sie hat erkannt, dass künstlerische Provokationen nur mehr Mittel zum Zweck sein können, dass Polemik per se und Schlüsselreize längst nur noch harmlose Rituale sind. Ihre Botschaften jedoch stellen eine echte Alternative zur heute so zahlreichen »Made-to-Sell-Kunst«. Mit Biss, Ironie, Persiflage, Entschiedenheit und Wahrhaftigkeit aquarelliert und modelliert die Berliner Künstlerin ihre Werke.

Gerne weist Caro Suerkemper darauf hin, dass ihre Arbeit auch etwas Barockes hat. In der Tat sind nicht nur ihre Blätter, Porzellanfiguren, ihre Unterglasmalerei und ihre Marmorskulpturen, sondern auch die Arbeitstitel (Anmut, Würde, Gnade, Carokoko usw.) ausserordentlich und schon deshalb barock – und wiederum doppeldeutig. Das Ausserordentliche packt uns in der Antike und Renaissance, im Barockstil stösst es uns ab, wir empfinden es als störend, wie eine lästige Unklarheit; z. B. eine Figur, die betet und sich dabei in konvulsivischen Bewegungen krümmt, eine Frau mit »barocken« Formen, die aus einem Rollstuhl uriniert. Wir fragen: warum diese Bewegungen? Tja, warum wohl? Gnade uns, den Rezipienten!

 


Karsten Müller 2006


Glazed Girls

Constraint as a permanent state – the heroines in Caro Suerkemper’s pictures master this situation with patience and acrobatic use of their bodies: they persevere through ritualised bindings in bandages or bodices. Yet the stripped women, appearing as cleverly stringed packages, only seem to represent a different world to that of the swathed bodice-wearers refined into folkloric gems. Chaste or disreputable, strident or restrained – ultimately, all her figures remain bound into a snare of regiments and conventions; even the most extravagant self-presentation harbours heteronymous role-play. Many figures reveal this dichotomy though a distracting distance to the roles they embody. They often seem like amateur performers in professional photos: caught out, uncomfortable and awkward. Distrustful looks under starched caps or shameful eyes in shameless poses betray their lack of orientation in their coded corsages. Usually alone and exposed, Suerkemper’s figures ensnare the viewers in their deeds, binding them with questions as to the mechanisms of seduction and submissiveness, lust and control, power and powerlessness.

Caro Suerkemper formulates her interest in rules, laws and orders with wit, bite and a sense of scurrility. Again and again, she seeks out clumsy gestures and slipped expressions, gives her protagonists the wide eyes and balloon-like breasts of comic characters. Suerkemper combines the exercises in servitude her figures absolve with a liberty of colour; they gain a vibrant life of their own while bidding farewell to the servile function of formal description. Pale or bright, prismatic or cloudy, the colours suggest mood spaces or desired worlds, raising the suspense of the moments fixed by refusing to provide explanatory background information. Thus, many scenes remain placeless and timeless phenomena on the white of the paper or porcelain.

Caro Suerkemper has only recently discovered porcelain as a medium. But she has long been extending her artistic confrontation with standardised worlds – for example in the presentation of her watercolours and gouaches: Suerkemper lovingly integrates them into dolls’ houses fitted out in old-fashioned style or arranges them on elaborately worked dressers, familiar from rustic kitchens. Fascinated by the reserves of conservative homeliness and monarchs of the glen, she is now penetrating the treasure chambers of petty bourgeois ideology and conquering its crown jewels: collectors’ cups and saucers, biscuit barrels and confectionary bowls. As an arena for Caro Suerkemper’s acrobats, nuns and nurses, for her surly bodiced madams and shy porn queens, grandmother’s decorative plate becomes a burning-glass for cutting-edge tensions. In colourful glaze, Suerkemper’s faiences whet the viewers’ appetites – leaving them in lustful doubt as to quite what is being served up.

 


Gebrannte Kinder

Die Zwangslage als Dauerzustand – Caro Suerkempers Bildheldinnen meistern sie mit Geduld und akrobatischem Körpereinsatz: Sie harren aus in ritualisierter Fesselung durch Bandagen oder Trachtenmieder. Dabei repräsentieren die entblößten Frauen, die als raffiniert geschnürte Bündel auftreten, nur scheinbar eine andere Welt als die verhüllten, zu folkloristischen Schmuckstücken veredelten Trachtenträgerinnen. Ob züchtig oder verrucht, schrill oder verhalten – letztlich bleiben alle Figuren eingebunden in ein Geflecht der Reglements und Konventionen; noch in der extravagantesten Selbstdarstellung steckt fremdbestimmtes Rollenspiel. Diesen Zwiespalt offenbaren viele Akteurinnen durch eine irritierende Distanz zu den Rollen, die sie verkörpern. Oft wirken sie wie Laiendarstellerinnen bei professionellen Fotoaufnahmen: ertappt, unbehaglich und linkisch. Misstrauische Blicke unter gestärkten Hauben oder verschämte Augenaufschläge in schamloser Pose verraten ihre Haltlosigkeit in den Korsagen der Codes. Zumeist allein und ausgesetzt, verstricken Suerkempers Figuren den Betrachter in ihr Tun, fesseln ihn mit Fragen nach den Mechanismen von Verführung und Gefügigkeit, Lust und Kontrolle, Macht und Ohnmacht.

Caro Suerkemper formuliert ihr Interesse an Spielregeln und Ordnungssystemen mit Witz, Biss und einem Sinn für das Skurrile. Immer wieder sucht sie die ungelenken Gesten und entgleisten Mienen, gibt ihren Protagonistinnen die Kugelaugen und Ballonbrüste von Comicwesen. Die Übungen in Unfreiheit, die ihre Figuren absolvieren, kombiniert Suerkemper mit einer Freiheit der Farben; sie können pulsierendes Eigenleben gewinnen, während sie sich von der dienenden Funktion der Formbeschreibung verabschieden. Zart oder grell, prismatisch oder wolkig deuten die Farben Stimmungsräume oder Wunschwelten an, erhöhen den suspense der fixierten Momente, indem sie sich der erklärenden Hintergrundinformation verweigern. So bleiben viele Bildszenen ort- und zeitlose Erscheinungen auf dem Weiß des Papiers oder des Porzellans.

Das Porzellan als Malgrund hat Caro Suerkemper erst kürzlich für sich entdeckt. Doch schon seit langem dehnt sie ihre künstlerische Auseinandersetzung mit normierten Lebenswelten aus – etwa auf die Präsentationweisen ihrer Aquarelle und Gouachen: Suerkemper integriert sie liebevoll in altmodisch ausstaffierte Puppenhäuser oder arrangiert sie auf gedrechselten Regalen, wie man sie aus Bauerstuben kennt. Fasziniert von den Reservaten der biederen Behaglichkeit und der röhrenden Hirsche, dringt sie nun auch in die Schatzkammern der gutbürgerlichen Ideologie vor und erobert ihre Kronjuwelen: Sammeltasse, Bonbondose und Konfektschale. Als Arena für Caro Suerkempers Akrobatinnen, Bet- und Krankenschwestern, für ihre mürrischen Trachtentanten und schüchternen Pornoqueens wird Großmutters Zierteller zu einem Brennglas höchst aktueller Spannungen. In farbenfroher Glasur reizen Suerkempers Fayencen den Appetit des Betrachters – und lassen ihn lustvoll im Zweifel, was hier wohl serviert wird.

 


Karin Schick 2004


Die Verwandlung der Bilder

(aus dem Katalog »Wasserfarben« 2004)

Ein Bild ist mehr als ein Bild
und manchmal mehr als die Sache selbst, deren Bild es ist.
Paul Valéry

 

Am Anfang stehen Bilder. Caro Suerkemper findet sie in neuen und alten Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, in Schulfibeln, Kinder- und Märchenbüchern. Die Motive der Gegenwart und der Vergangenheit sind das Material, von dem sie ausgeht, mit dem sie arbeitet.

Die Bilder, die Caro Suerkemper interessieren und die sie aus dem Alltag herauslöst, zeigen meist Frauen und Kinder – Männer treten als Gegenüber oder nur am Rande auf. Hauptmotiv ist die einzelne weibliche Figur in den unterschiedlichsten Haltungen: aufrecht stehend, sitzend, liegend, im Kopfstand, im roten Badeanzug, mit Mieder und Strapsen, in volkstümlicher Tracht, nackt an einen Stuhl oder eine Kommode gefesselt, als Braut, als Catcherin, beim Fischen oder Kartoffelschälen.

Auf die Motive reagiert auch der Betrachter zuerst. Die Figuren ziehen ihn mit ihren Blicken an, ihr Tun, ihre Haltungen und Zustände geben ihm Rätsel auf: Wer hat die Frauen gefesselt und warum, weshalb ist die Fotografin nackt, welche Beziehung hat der Geistliche zur Schönen im Mieder, warum stehen die Kinder nackt im Kreis, nach wem halten sie Ausschau, welche Bedeutung hat das Huhn, was spielt sich ab im Treppenhaus?

Die Bilder geben keine Antworten auf diese Fragen, sie erklären sich nicht.

Ein zweiter Blick lässt jedoch ahnen, dass das Geheimnis nicht nur im Motiv begründet liegt. Es sind die Darstellungsweisen und der Einsatz der künstlerischen Mittel, die den Bildern zu ihrem starken Ausdruck verhelfen. Caro Suerkemper greift auf Bekanntes, Vorgeprägtes zurück; die Bilder des Alltags geben den schützenden Rahmen vor, innerhalb dessen sie sich bewegt. Das Wagnis beginnt mit der Arbeit.

Hat Caro Suerkemper sich für ein Motiv entschieden, zeichnet sie es im gewünschten Ausschnit auf Transparentpapier ab. Das Vorbild ist meist sehr Klein, und mit dem Bleistift lassen sich beim Nachfahren der Linien nicht alle Details erfassen. Caro Suerkemper konzentriert sich zudem auf die Umrisse und gibt nur wenig Binnenzeichnung wieder; auf Farbe verzichtet sie ganz. Starke Vereinfachungen, Leerstellen und deutliche Abweichungen vom Ausgangsbild sind die Folge. Andere, verformte, verfremdete Bilder entstehen, und neue Bedeutungen werden geboren: Aus dem Trachtenhut wird ein Ornament, aus einem Gebüsch ein Pünktchenteppich, der Kopf einer Frau verschmilzt mit dem des Schafs, das sie umarmt.

Aus dem über die Zeit wachsenden Bilderpool treten einzelne Zeichnungen wieder hervor. Erneut werden Ausschnitte festgelegt, in größerem Maßstab auf Aquarellpapier übertragen und wieder mit Farbe versehen. Die meist leuchtenden, heiteren Wasserfarben verleihen den Bildern eine verspielte Note – sie verweisen auch auf Laien- oder Kindermalerei. Die von Caro Suerkemper bevorzugten Gouachefarben können durchscheinend aber auch deckend eingesetzt werden. Es ergibt sich ein Wechselspiel wässriger und opaker Bereiche, verschwommener Grenzen und geradezu unwirklicher Klarheit.

Die dargestellten Figuren wirken überaus plastisch. Ihre Formen sind wohlgerundet, ihre Körper und Gesichter rosig wie Marzipan. Auffällig sind vor allem die Augen: Die Prozesse des Abzeichnens und Übertragens lassen sie zu comicähnlichen, lustigen Punktaugen werden. Sie verleihen den meisten Figuren einen schelmischen Ausdruck, bei manchen wirken sie eher grotesk. Zum Anbeißen sind die Frauen, in ihrer pastellenen Schönheit aber auch zart und zerbrechlich.

Caro Suerkemper gibt den Blick auf ihre Figuren frei. Manche präsentieren sich stolz, andere etwas verlegen in ihrer Tracht, ein Mädchen im Teufelskostüm mit roten Hörnern stemmt selbstbewusst ihre Hände in die Taille, eine Kesse Tänzerin räkelt sich auf dem Barhocker, eine Rothaarige im weißen Abendkleid reckt ekstatisch die Arme empor. Andere Figuren werden in räumlich beengten Situationen der Beobachtung ausgesetzt: Sie stehen entweder in einer Ecke, sind an einen Stuhl gebunden oder liegen gefesselt am Boden.

Die Bildräume sind meist vage und offen. Häufig sind die Szenen durch die Farben des Hintergrunds zu runden oder ovalen Ausschnitten begrenzt; diese werden wiederum gerahmt vom Weiß des Blattes. In einigen Fällen – so bei dem Treppenhaus – meint man durch ein Guckloch heimlich auf das Geschehen zu blicken. Große Partien der Blätter bleiben unbemalt und damit auch inhaltlich im Unklaren. Die weißen Stellen wirken als starke Lichtakzente, komplementär dazu finden sich immer wieder farbige Schatten. Sie umfangen die Figuren nicht nur. Manche zeigen eine starke Körperlichkeit, wie menschliche Gegenüber: Die Frau auf der Treppe, vor allem aber die Aktfotografin scheinen sich auf merkwürdige Weise zu vervielfachen.

Das Licht spielt in Caro Suerkempers Werken eine zentrale Rolle. Es ist weißlich bis grell und ähnelt Blitzlicht, Theater- oder Filmlicht. Manche Szenen wirken wie Filmstills aus Hitchcock-Thrillern, andere flackern wie Schnappschüsse auf, in denen die Figuren oft schmerzlich überbelichtet sind. Das Lächeln und Posieren der Figuren erinnert daran, dass die von der Künstlerin gewählten Motive im Ursprung meist fotografische Bilder sind.

Die künstlerische Bearbeitung des vorgefundenen Materials, das Lösen vom Vorbild ist immer offenbar. Ganz besonders aber in jenen Blättern, in denen das Motiv durch geometrische Formen oder abstrakte Strukturen ergänzt wurde: Der gestreifte Rock einer Trachtenfigur findet seine Entsprechung in einem breiten hellblauen Farbband, das das Bild nach rechts begrenzt; die Tänzerin auf dem Barhocker trägt ein Kostüm mit Rautenmuster und einen Kopfschmuck mit einer Kugel, die sich in riesigen, die ganze Figur umfangenden Seifenblasen fortsetzt; der Trachtenhut einer jungen Frau löst sich gänzlich auf in farbigen Flecken und bunten Halbkreisen; die in rotbraunen Farbfeldern gestaltete Hüfte einer nackten Liegenden erinnert an geologische Schichtenmodelle, ihr Körper wird zum Landstrich mit Höhenunterschieden.

Die bewusste Formalisierung der Motive, ihre Reduktion auf Strukturen wird besonders augenfällig in dem großformatigen Blatt Sportfeld. Die jugendlichen, in Weiß und Rot gekleideten Turner werden einer geometrischen Formenkomposition eingeschrieben: Ihre Beine im Spagat begrenzen hell- und dunkelgrüne Rechtecke, die erhobenen Arme verbinden die Farbflächen. Das Motiv erstreckt sich dynamisch über das ganze Blatt: Figuration und Abstraktion, Reduktion und Komplexität kommen hier auf spielerische Weise zur Balance.

Caro Suerkempers Bilder entstammen unserem Alltag. Sie sind jedoch Keine Zufalsbilder, sondern Ergebnis einer subjektiven Wahl. Die Momente der Realität, die Ausschnitte von Welt, die sie persönlich interessieren und berühren, macht Caro Suerkemper zum Gegenstand einer Befragung, Bearbeitung und Neubewertung. Sie spürt dabei den Mehrdeutigkeiten der Bilder aber auch unseren Erwartungshaltungen nach: Ihrem gewohnten Zusammenhang entnommen, erhalten die Motive oft eine unheimliche, komische oder absurde Bedeutung.

Es sei eine Leidenschaft von ihr, so Caro Suerkemper, Bilder »beim Wort« zu nehmen, die zu leeren Hülsen geworden sind.1 Mit größtmöglicher Offenheit begegnet sie ihrem Motiv. Ein Bild ist bei ihr stets nur der Ausgangspunkt, das eigentliche Thema liegt dahinter; es entsteht oft erst bei der Arbeit und muss nicht mit dem Motiv übereinstimmen. Den Kinderkreis kann man als einen von Licht durchfluteten fröhlichen Tanzreigen verstehen, die enge räumliche Situation und die offenbare Anwesenheit eines Beobachters jedoch wirken bedrohlich.

Die ringenden Frauen im Bikini könnten am Strand tollen, professionelle Catcherinnen sein oder sich heimtückisch nach dem Leben trachten – das Gesicht der einen scheint von Todesangst gezeichnet. Die Bilder von Gefesselten mögen ursprünglich der sexuellen Erregung gedient haben; doch liest man den roten Schatten der Liegenden als Blut, erzählt die Szene von Vergewaltigung und Mord; das Gesicht einer Sitzenden zeigt soviel Andacht und Hingabe, dass man sie sich – sieht man von den eindeutigen Accessoires ab – auch in einer Kirchenbank vorstellen könnte. Die Aktfotografin steht, nackt bis auf ein Paar roter Schuhe, mit dem Rücken zur Wand in der Ecke, erwidert aber selbstbewusst den Blick des Gegenübers, unterstützt vom schwarzen Auge der Kamera vor ihrem Körper.

Caro Suerkempers Kunst handelt sowohl von menschlichen Grundsituationen und Empfindungen, von Entblößung, Berührung, Schutzlosigkeit, Unsicherheit, Angst und Aggression, als auch von unserer Lebenswelt, von gesellschaftlichen Bedingungen und Konventionen, unterschiedlichen Lebensmodellen und Interpretationen von Weiblichkeit und Schönheit. Weil diese Themen ihren Bildern eingeschrieben sind, wirken noch die heitersten Szenen brüchig und abgründig.

Caro Suerkempers Umgang mit Realität ist vielschichtig: Ihre Faszination für vergangene Zeiten und deren Ästhetik, für kulturelle Traditionen und für die Kindheit mit ihren Träumen, Märchen und Wasserfarben ist keinesfalls gleichzusetzen mit dem Glauben an die heile Welt. Dass auch dort ein Untier schlummert, lehren ihre Bilder.

Caro Suerkemper arbeitet mit feinen gedanklichen Unterscheidungen, Bedeutungsnuancen und Gefühlsregungen. Sie hat sich folgerichtig für eine Kunst der leisen Töne entschieden: Die Gouachen sind klein, die vorausgehenden Zeichnungen winzig. Beide Medien erreichen bei ihr jedoch eine überzeugende Lebendigkeit und Ausdrucksstärke. Sie transportieren besser als jedes große Gemälde die geistige und emotionale Tiefe, die Intimität und Intensität, die Caro Suerkemper sucht.

Die bunten Wasserfarben, mit denen sie hauptsächlich arbeitet, erinnern nicht ohne Absicht an frühkindliche Malversuche. Die Gouache bietet jedoch vor allem ideale Möglichkeiten der Darstellung: Mit ihr lassen sich Gegenstände verwässern oder glasklar umreißen, sie macht eindeutige Definitionen aber auch vage Andeutungen sichtbar und verweist auf den Gegensatz von Realität und Schein. Zugleich ist die Gouache ein künstlerisches Wagnis. Stärker als andere Techniken stellt sie den Ausführenden vor die Möglichkeit des Scheiterns: Misslingt ein Bild, wird ein Pinselstrich zuviel, eine Farbe nicht an die richtige Stelle gesetzt, lässt sich der Schaden kaum beheben. Übermalungen sind zwar möglich, bleiben aber sichtbar und störend. Der innere Einklang mit dem Motiv und die Beherrschung der künstlerischen Mittel im Arbeitsprozess müssen groß sein, will ein aquarelliertes Bild gelingen.

Caro Suerkempers Malerei lebt vom Detail. Ihre Stärke liegt aber zugleich in der Offenheit, dem Freilassen von Flächen und Einbeziehen des Papiers als Element der Bildrealität. Sind die Darstellungen der Gefesselten deshalb so unheimlich, weil ihre Gegenüber, die räumlichen Situationen und die Beschreibungen ihrer Körper zum großen Teil undefiniert bleiben? Ist die Darstellung der einzelnen Frau im Treppenhaus so beunruhigend, weil die Szene nicht düster, sondern hell erleuchtet, ja überbelichtet ist? Sind die Möglichkeiten, die die gemalte Wirklichkeit eröffnet, unter Umständen bedrohlicher als die Realität, die wir kennen?

Durch den gekonnten Einsatz der künstlerischen und kompositorischen Mittel gewinnen Caro Suerkempers Bilder eine ganz eigene Magie und Eindringlichkeit. Diese Prägnanz ist unabhängig vom Motiv – ein Trachtenkopf bleibt ebenso im Gedächtnis wie eine Kinderfigur oder ein Akt. Jedes Bild hat seine individuelle Qualität, doch da alle Motive mit derselben Ernsthaftigkeit betrachtet und auf dieselbe Weise behandelt werden, sind alle Bilder und Inhalte von gleichem Rang.

Sind die kleinen stillen Gouachen zeitgemäß? Können sie sich gegen die aktuelle Kunst, gegen raumgreifende Wandmalereien, Installationen, Medienkunst und spektakuläre Performances behaupten? Es fällt ihnen nicht schwer, denn Caro Suerkempers Stärke besteht in der Nachdenklichkeit, dem Zweifel, der Sorgfalt und dem beharrlichen Überprüfen der modernen Bilderflut. Bevor ihre Bilder endgültig Gestalt annehmen, durchlaufen sie mehrere Prozesse der Klärung, Stadien der Verwandlung und Stufen der Realität: »Ich glaube überhaupt nicht an Fortschritt im Sinne von Erfindung, ich glaube eher an Neubelebung, dass man etwas immer wieder abtastet und erneut kontrolliert und verfeinert. Verfeinerung ist vielleicht heute der Fortschritt.«2 Caro Suerkemper malt ihre Bilder nicht nur, sie durchdringt sie im Malen. Am Ende sind die Bilder neu. Ihre Bedeutungen und Möglichkeiten harren der Entdeckung.

1.  Caro Suerkemper in: »Nach was trachtet eigentlich ein betrachtetes Objekt?« Ein Gespräch mit Sven Drühl, in: Kunstforum, Bd. 160, 2002, S. 332–341, hier S. 335.

2.  Ebd., S. 341.